Skip to main content
Im Fokus

Im Fokus: Jugend und SEMO

Artikel Im Fokus

«Der regelmässige Austausch fördert die Verbreitung von Best Practices»

Die Gründung der Fachkommission Jugend-SEMO bietet für Christine Gfeller, Leiterin eines Motivationssemesters in Biel, die Gelegenheit, über die Entwicklung der SEMO und die Herausforderungen bei der Eingliederung von Jugendlichen zu sprechen. Sie berichtet dabei auch über die Rolle der neuen Kommission und deren Ziele.

Erzählen Sie doch bitte kurz, wer Sie sind und welche Funktion Sie in Ihrem SEMO haben?

Mein Name ist Christine Gfeller. Seit 14 Jahren bin ich für das zweisprachige Motivationssemester in Biel verantwortlich. Vorher war ich als Lehrerin/Ausbildinderin in einer IV-Ausbildungsinstitution tätig. In dieser Zeit bildete ich mich zur Heilpädagogin weiter, mit dem Ziel, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen noch besser begleiten zu können. Damals haben mich zwei Sachen geprägt: Das erste war, wie sehr mir die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen am Herzen lag. Das zweite war, wie spannend es ist, diese Altersgruppe auf ihrem Weg in die Arbeitswelt zu begleiten. Mein Team im SEMO besteht aus Lehrer:innen, Arbeitsagog:innen, Sozialarbeiter:innen / – pädagog:innen und auch Psycholog:innen.

«Die Vielfalt und die ganzheitliche Begleitung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rahmen des SEMO gefällt mir sehr gut und macht meine Arbeit spannend.»

Wie sind die Motivationssemester entstanden?

In den 1990er Jahren war die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz sehr hoch. Als Reaktion darauf forderte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) die Kantone auf, Unterstützungsprogramme für arbeitslose Jugendliche ohne Ausbildung einzuführen – Die Motivationssemester /SEMO wurden ins Leben gerufen. Es handelt sich dabei um ein Programm zur beruflichen Eingliederung, das von der Arbeitslosenversicherung finanziert wird. Im Kanton Bern beteiligt sich auch die Gesundheits-, Sozial- & Integrationsdirektion (GSI) an den Kosten. Die SEMO sollen Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren, die nach der obligatorischen Schule keine Lösung finden, eine Ausbildung ermöglichen und ihnen einen Platz auf dem Arbeitsmarkt verschaffen.

Im 2023 wurde eine neue Fachkommission Jugend-SEMO für die Deutschschweiz innerhalb von Arbeitsintegration Schweiz ins Leben gerufen. Was ist die Geschichte hinter der Gründung dieser Fachkommission? Warum wurde sie gegründet?

Vor 30 Jahren, als die Motivationssemester eingeführt wurden, hatte das SECO die federführende Rolle zur Koordination der SEMO in der Schweiz. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Weisungen für die Organisation der SEMO vom SECO erlassen werden, während ihre Umsetzung in der Verantwortung der Kantone liegt. Diese Situation führt zu unterschiedlichen Praktiken und Angeboten in den einzelnen Kantonen. Der Auftrag ist derselbe, aber die Praxis ist unterschiedlich. Aus diesem Grund hatte das SECO einen Koordinator beauftragt, zweimal jährlich einen Praxisaustausch zwischen den kantonalen SEMO-Verantwortlichen zu organisieren und Weiterbildungen speziell für die SEMO-Mitarbeitenden anzubieten. Vor einigen Jahren beschloss das SECO, die Verantwortung der Durchführung vollumfänglich an die Kantone zu übertragen. In der Folge wurde die Koordinationsstelle abgeschafft.

«Als Reaktion auf diese Abschaffung haben wir uns jedoch vorgenommen, uns weiterhin zu treffen, da der Austausch wertvoll war, um unsere Ressourcen zu bündeln und Synergien zu identifizieren»

Nach und nach kam in dieser Vernetzungsgruppe der Wunsch nach mehr Stabilität auf. Wir haben deshalb Kontakt zu AIS aufgenommen und zusammen festgestellt, dass die Gründung einer Fachkommission die beste Option war, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen.

Apropos: Was sind die Hauptziele der Fachkommission? Welche Lücke füllt sie?

Erstens ist es zentral, durch Fachtagungen, Austauschtreffen und Weiterbildungen ein Netzwerk zwischen den SEMO-Akteuren und – Akteurinnen aufzubauen und zu pflegen. Bei unseren Austauschsitzungen sind fast alle deutschsprachigen Kantone vertreten.

«Dieser regelmässige Austausch fördert die Verbreitung von Ideen und Best Practice.»

Auf der Basis dieser Vernetzung finden immer wieder auch bilaterale Kontakte und Gespräche zu spezifischen Themen statt. So wurde ich zum Beispiel vor zirka einem Jahr vom Vertreter des Kantons Graubünden angerufen, welcher mehr über das im Kanton Bern vorhandene niederschwellige SEMO-Programm erfahren wollte. Dieses Angebot richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene, die noch nicht bereit sind, eine Berufsausbildung zu beginnen und Unterstützung beim Aufbau von beruflichen Grundkompetenzen benötigen.

Mein Kollege aus Graubünden hat sich mit der Machbarkeit, eines solchen Programms in seinem Kanton auseinandergesetzt. Ich konnte ihm Infos und Zahlen zur Umsetzung der niederschwelligen SEMO-Angebote im Kanton Bern vermitteln. So hatte er zusätzliche Argumente, um die Auftraggeber in seinem Kanton vom Mehrwert eines solchen Angebots zu überzeugen.

Es gibt aktuell allgemein viele freie Lehrstellen. Wer über die geforderte Grundarbeitsfähigkeit und realistische Berufswünsche verfügt, hat im Allgemeinen sehr gute Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Ein grosser Teil der Jugendlichen, die heute ein SEMO besuchen, haben schwere Rucksäcke mit verschiedensten Problematiken und Herausforderungen, welche sie zu bewältigen haben. Dieser Tatsache gilt es in der Begleitung Rechnung zu tragen. Entsprechende Anpassungen sind wichtig. Manchmal müssen auf dem Weg zu einer Lehrstelle sinnvollerweise nützliche Zwischenschritte angestrebt werden. Unser Auftrag ist seit langem derselbe, aber unsere Klientel hat sich verändert. Weiterentwicklung und Anpassung unserer Angebote sind entsprechend zentral. Unter anderem angesichts dieser Situation ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir uns bei der Formulierung von Anliegen und Forderungen an das SECO kantonsübergreifend zusammenschliessen und die Situation in der Praxis mit einer Stimme vertreten.

«Als Kommission von Arbeitsintegration Schweiz zusammenzukommen, verleiht unseren Aussagen eine zusätzliche Legitimität.»

Sie sagen, dass sich die Klientel der SEMO verändert hat. Welche Entwicklungen haben Sie in den letzten Jahren beobachtet?

Seit mehreren Jahren beobachten wir, dass die Problematik der psychischen Gesundheit bei Jugendlichen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das war schon vor der Pandemie der Fall, aber COVID hat das Phänomen noch verstärkt. Die Angebote müssen sich an die besonderen Bedürfnisse von Jugendlichen mit psychischen Gesundheitsproblemen anpassen. Die zweite grosse Entwicklung, die zu beobachten ist, hängt mit der Migration zusammen. Mit den Flüchtlingswellen sind viele Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren in die Schweiz gekommen, darunter auch unbegleitete Minderjährige.

«Wir sind dann mit den Herausforderungen des Spracherwerbs, der kulturellen Unterschiede und der Bewältigung der mit dem Migrationsweg verbundenen Traumata konfrontiert.»

Schliesslich haben wir regelmässiger Jugendliche im SEMO, bei welchen eine Unterstützung der IV während der Berufsausbildung angezeigt ist. Zum Beispiel Jugendlichen mit Asperger-Syndrom, ADS oder anderen länger andauernden psychischen Einschränkungen) bieten wir dann Begleitung bei einer IVAnmeldung oder arbeiten mit bereits involvierten Fachpersonen der IV zusammen.

Natürlich gab und gibt es auch Jugendliche, welche absolut bereit sind für den Einstieg in die Ausbildung, die jedoch trotz zahlreicher Bewerbungen einfach «glücklos» noch keine positive Antwort erhalten haben. Diese sind dann meist auch nicht sehr lange auf unsere Unterstützung angewiesen.

«Wir sind dann mit den Herausforderungen des Spracherwerbs, der kulturellen Unterschiede und der Bewältigung der mit dem Migrationsweg verbundenen Traumata konfrontiert.»

65

Mitgliedsorganisationen von Arbeitsintegration Schweiz sind in der sozialen und beruflichen Integration von Jugendlichen tätig.

Fachkommission Jugend-SEMO

Die Fachkommission Jugend-SEMO vertritt die Deutschschweizer Mitglieder, die Programme zur sozialen und beruflichen Integration von Jugendlichen anbieten. Sie wurde im Januar 2023 gegründet und hat ihre Wurzeln in der Zeit, als die Motivationssemester eingeführt wurden. Ihr Ziel ist es, die Akteure und Akteurinnen in der sozialen und beruflichen Integration von Jugendlichen in der Deutschschweiz zu vernetzen, um einen Austausch von Erfahrungen und Best Practices zu ermöglichen. Durch die Organisation von Tagungen und Treffen, welche die Fachleute zusammenbringen, fördert die Fachkommission deren Professionalisierung und ermutigt zur Innovation. Diese Austauschplattform bringt die Anliegen und das Wissen der Akteure vor Ort ein. Sie berät Arbeitsintegration Schweiz zu Themen im Zusammenhang mit der sozialen und beruflichen Integration von Jugendlichen und den Motivationssemestern. Schliesslich ermöglicht sie die Vertretung ihrer Interessen gegenüber den Akteuren:innen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zurzeit gibt es in der Romandie keine Fachkommission Jugend und SEMO. Organisationen, die daran interessiert sind, ein solches Projekt zu starten, sind eingeladen, mit Arbeitsintegration Schweiz Kontakt aufzunehmen.

Dokumente | Links